Egalité et Différence

Über den Unterschied zwischen “Differenz” und “Ungleichheit”

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Kommentar des Colectivo Situaciones zum Vortrag von Maurizio LazzaratoSelten ist uns die Gelegenheit gegeben, einen Text zu kommentieren, mit dem wir eine solche Empathie empfinden, ja, den wir eigentlich gerne selber hätten schreiben wollen.
Eine solche Sympathie lässt uns jedoch nachdenken: was in Lazzaratos Worten wirkt auf uns so anziehend: das, was wir gerne mit der selben Tiefe und Belesenheit selber hätten schreiben wollen (also das, was letzten Endes unsere eigenen Ideen nährt, zu denen wir über andere Wege gekommen sind) oder die Tatsache, auf jemanden zu stoßen, der uns mit Hindernissen konfrontiert, der uns verstört, in dem er gewisse Argumentationslinien bis an ihre Grenzen weiterdenkt?
Lazzaratos Vortrag hat uns besonders beeindruckt, weil darin mit einem Male festgestellt wird, dass eine gewisse Denkweise ihr Potenzial erschöpft hat, und dass ein anderer Denkansatz, der auf der Multiplizität gründet -und sich bereits seit über einem Jahrhundert entfaltet- sich in einem Raum eingeschrieben hat, der ihm bislang verwehrt war: dem Raum der Politik und der sozialen Kämpfe. Wiederholt hat Lazzarato auch die Reichweite dieses Ereignisses angedeutet.
Verstörend wirkt Lazzaratos Text auf uns, weil darin einige Fragen aufgeworfen werden, die sich auch auf die Möglichkeit eines Dialogs auswirken, in dem die Universalität des Denkens sich von den Spuren andersartiger Situationen und vielfältig unterschiedlicher Kontexte beeinflussen lassen könnte – das wäre zumindest unser Wunsch. Anders ausgedrückt: es geht darum, uns zu fragen -und selbstverständlich diese Frage auch an Lazzarato zu richten- , unter welchen Bedingungen ein Erfahrungsaustausch möglich ist.
Wir haben den Eindruck, einige Begriffe Lazarattos sind auch für unsere eigene Suche relevant:
An erster Stelle die Radikalisierung einer “Ontologie der Multiplizität”. Wohlbemerkt: es handelt sich nicht nur darum, die Multiplizität anzukündigen. Sie ist bereits oft genug angekündigt worden. Es geht jetzt eher darum, eine Radikalisierung des Denkens vorzunehmen, die erlaubt, diese Ontologie des Multiplen in die Sozialforschung einzuführen. War die Philosophie der Multiplizität -die Lazzarato als “Monadologie” bezeichnet und dabei Leibniz, Tarde und Deleuze folgt- bereits aus den Krallen der göttlichen Einheit und später des modernen Determinismus befreit worden, sind wir jetzt aufgefordert, eine doppelte Operation vorzunehmen: unsere eigene Geschichte unter dem Zeichen des Multiplen wiederzulesen und die Welt unter dem Zeichen der “Differenz” wahrzunehmen.
An zweiter Stelle erkennen wir bei Lazzarato eine bemerkenswerte Bestrebung , die Koordinaten des Denkens auf die Ansprüche und die Dynamik der sozialen Praktiken auszurichten. Dieser Aspekt ist für uns von nicht von minderer Bedeutung. Es führt uns in der Tat zu einer Auseinandersetzung mit der politischen Dimension der Erkenntnis. Hier geht es nicht darum, im Dienste der Politik zu denken, sondern im Inneren des Denkens das Zusammenfließen, den Dialog und die Interaktion zu entdecken, die sich zwischen der Entwicklung der Forschung und den beginnenden (und sich erschöpfenden) Möglichkeiten der sozialen Dynamik auftun. In einem jüngst veröffentlichten Text sprach Subcomandante Marcos von einem Denken, das “ausgehend von und zusammen mit” den radikalen gesellschaftlichen Erfahrungen geschieht. Die wenigen Schriften Lazarattos, die auf Spanisch zu lesen sind (keins seiner Bücher ist bisher übersetzt worden) weisen gerade auf diese Perspektive hin, die aus der Bewertung der Erfahrung sowie der konstituierenden Fähigkeit der radikalen Kämpfe und Bewegungen hervorgeht. (Dabei wird die eigene Radikalität immer unter dem Zeichen der Differenz und der Multiplizität reflektiert. Auf diese Erfahrungen bezieht sich Lazaratto, wenn er von den “postsozialistischen Bewegungen” spricht).
In diesem Zusammenhang möchten wir an dritter Stelle festhalten, dass diese Eigenschaft eines “namentlich politischen Denkens” (das sich selbst als Teil und Bedingung eines subjektivierenden Prozesses begreift) eins der Schlüsselmomente einer gewissen Tradition des radikalen Denkens in Italien darstellt: leicht lässt sich dieses “Markenzeichen” an Lazaratto erkennen, dass darin besteht, die Dynamik der Ideen und der sozialen Widerstände mit den Überlegungen der Politik zu verknüpfen.
Viertens entwickelt Lazzarato eine Reihe von Konzeptionen, die es ihm erlauben, von einem unidimensionalen Denken zu den “postsozialistischen” Bewegungen überzugehen. Jenes unidimensionale Denken ging von einer einzigen Szene aus, mit strukturell definierten Agenten, die einer Logik des Widerspruchs folgten (was zumeist “zu zweit” ausgetragen wurde). Entfalteten die sozialistischen und kommunistischen Bewegungen ihre Universalität auf der Grundlage der Gleichheit, wobei sie die gesamte soziale Dynamik der Staatstruktur unterordneten, so kennzeichnen sich die neuen Bewegungen im Gegensatz dazu dadurch, dass sie dieser Falle entkommen möchten, wozu sie verschiedene Modalitäten der Soziabilität erfinden, die Lazzarato als “Politik der Differenz” identifiziert.
Gerade diese Dynamik der “postsozialistischen” Kämpfe bildet für uns einen Denkanstoß in Bezug auf die Subjektivierungsweisen, die diese Bewegungen entwickeln.
Einerseits geht es hier um eine gewisse -unabdingbare-Fähigkeit, sich der Welt zu entziehen (der Welt als Einem, als dem einzig Möglichen), der Welt in der Art, in der sie von den Massenmedien, den Institutionen, und den hegemonialen Repräsentationsformen gestaltet wird. Dieser Entzug impliziert ein Wiederentdecken der Multiplizität, ein Eintauchen in ihre Dynamik. Das ist die Bedingung jeder Radikalität. Das Eintauchen in die Multiplizität erlaubt die Herausbildung eines Zeitraumblocks, der die Widerstände mit subjektiven Ressourcen versorgt.
Der Entzug geht aber nicht mit einer Vernachlässigung der institutionellen, medialen und allgemein “repräsentativen” Ebene einher, sondern beansprucht die notwendige Duktilität, um den Bewegungen eine komplexe, vielschichtige Entwicklung zu erlauben. Daher scheint laut Lazzarato die zweite Bedingung der “postsozialistischen Bewegungen” in ihrer extremen Flexibilität zu bestehen, um gleichzeitig auf beiden Ebenen agieren zu können. Auf der repräsentativen Ebene sind die Fragen der (wirtschaftlichen, juristischen) Gleichheit im Spiel. Auf der zweiten Ebene – die nicht ohne Kampf und Zäsur zu erreichen ist- wird Differenz als Hervorbringung der Multiplizität geschaffen. Lazzarato sieht in der feministischen Bewegung ein Beispiel für diese doppelte Vorgehensweise.
Daraus folgt für uns eine Reihe von Überlegungen. Maurizio ist der Auffassung, der Kampf um die Gleichheit sei die Grundlage, aber nicht der Horizont des Emanzipationskampfes. Die Bewegung hat ein egalitäres Ansinnen, das im ständigen Spannungsverhältnis zu seinem differentialen Anspruch steht. Die sozialistischen und kommunistischen Sensibilitäten haben die egalitäre Tendenz dermaßen verabsolutiert, dass sie letzten Endes jeden Anspruch auf Multiplizität verbannt haben. Das ist nun mal die Gefahr für die Entstehung einer “Politik der Differenz”: das Risiko besteht darin, dass die egalitäre Emphase sich in Korporativismus und Integration in die Staatspolitik verwandelt.
Und so haben wir den Eindruck, dass das Verhältnis zwischen “Gleichheit und Differenz”, so wie es in Lazzaratos Auseinandersetzung mit Ranciére erscheint, einer zweifachen Differenzierung der Auffassung von “Gleichheit” bedarf. Denn Gleichheit erscheint hier -mindestens- unter zwei Formen: als “das Andere der Differenz” und als “das Andere der Ungleichheit”.
Es gebe demnach eine “positive” Gleichheit, die sich der “Ungleichheit” (im juristischen und institutionellen Sinne) entgegensetzt. Es gibt aber eine “negative” Gleichheit, die sich der Differenz entgegensetzt, sie vereinheitlicht, und die Singularisierung (Subjektivierung), die Grundlage jeder Kreation, verhindert.
Die Ungleichheit erscheint hier als spezifisches Hindernis, mit dem sich die Bewegungen auf der ersten Ebene zu konfrontieren haben, während paradoxerweise auf der zweiten Ebene die Gleichheit selber zum Hindernis für die Subjektivierung wird. In der Tat wird diese Gleichheit der zweiten Ebene absichtlich mit der der ersten verwechstelt, so dass der Aufbau der zweiten Ebene blockiert wird. Für Maurizio sind die “postsozialistischen Bewegungen” jene, welche die Differenz betonen, gerade um auf diese Weise Zugang zu finden zu dieser “zutiefst politischen” Ebene, die in der Schöpfung anderer möglicher Welten sowie deren Vernetzung besteht.
Es ist offensichtlich, dass in Europa oder den USA die Subjektivierung, von der Lazzarato spricht, auch eine gewisse Art Desubjektivierung impliziert. Wir könnten behaupten, dass diese Desubjektivierung darin besteht, sich den Staat aus dem Kopf zu schlagen, und eine wirksame Autonomie dem Staat gegenüber zu konstruieren, der dort ja trotz der jetzigen neoliberalen Tendenzen weiterhin allgegenwärtig, vereinnahmend und inklusiv ist.
Daher die Betonung auf die Verweigerung und die Differenz, und die Auffassung, die Gleicheit könnte, obwohl sie notwendig ist, zu einer Gefahr werden, wenn sie zum absoluten Wert erhoben wird.
Dagegen sind für die radikalen Bewegungen in Lateinamerika mindestens zwei allgemeine Unterschiede in diesem Subjektivierungsprozess aufzuzeigen. Zum einen hat sich die inklusive Macht des Staates verringert – obwohl sie nicht erschöpft ist- und die Allgegenwart des Staates ist -besonders in Argentinien- zurückgegangen. Zum anderen besteht ein weiterer Unterschied darin, dass es für die radikalen Bewegungen unmöglich ist, den egalitären Aspekt des Subjektivierungsprozess in Zeit oder Raum aufzuschieben, da beide (Differenz und Gleichheit) gleichzeitig erfordert werden, nämlich unter der Maßgabe, ein alternatives Prinzip der sozialen Reproduktion hervorzubringen. Ein Prinzip, das sich auf der zweiten Ebene als singuläre Entwicklung (Differenz) des Gemeinsamen (Gleichheit) auftut. Und das sich auf der zweiten Ebene als Druck äußert in Richtung Gleichheit gegen die Ungleichheit, in einem extremen Kräfteaufgebot, um die politische und organisatorische Autonomie zu wahren.
Ausgehend von Maurizios Ausführungen möchten wir nun folgende Aspekte zur Diskussion stellen: wir sind der Auffassung, dass die radikalen Kämpfe, zumindest in der Dritten Welt, die Auffassungen von Differenz -Subjektivierung- und von Gleichheit -das Gemeinsame- auf eine radikale Art und Weise zusammenfügen, als ein Konglomerat von produktiven, kreativen und innovativen Kräfte (die sowohl intellektuell wie materiell sind). Dafür wird vom Staat und den repräsentativen Institutionen eine faktische und juristische Anerkennung gefordert, die dann als Ressource für die eigene Subjektivierung zum Einsatz kommt.
Wie lässt sich dann in diesem Zusammenhang Lazzaratos Warnung interpretieren, dass die Gleichheit ohne Subjektivierung nur eine Affirmation untergeordneter Subjektivitäten ist? Darauf würden wir antworten -und wir nehmen an, Maurizio würde uns da zustimmen-, dass der Schlüssel zu einer neuen Radikalität darin besteht, zu vermeiden, dass die “Gleichheit” zum Erpressungsmittel wird, mit dem die Staaten, die politischen Parteien, die Gewerkschaften und die großen Medien -mit ihren Intellektuellen- die Entwicklung anderer Ebenen der sozialen und politischen Kämpfe verhindern. Es geht darum zu vermeiden, dass die egalitäre Erpressung die Erfahrung der Multiplizität blockiert.